Zukunft Pflegebauernhof – Besuch bei der Bauernhof WG in Marienrachdorf

Es gibt Begegnungen und Orte, die hinterlassen einen tiefen Eindruck. Wir sind sehr dankbar dafür, dass wir an einem Workshop auf dem Pflegebauernhof in Marienrachdorf im Westerwald teilhaben durften. Die Frage „wie will ich im Alter leben“ muss ich noch nicht zwingend jetzt beantworten. Alt werden ist ja auch noch so weit weg. Aber irgendwann – früher oder später – muss ich darauf eine Antwort finden, denn sie wird mein Leben maßgeblich beeinflussen. Bisher hatte ich eher Lebensformen für Senioren kennen gelernt, bei denen ich sofort wusste „so nicht – auf keinen Fall!“

Auf dem Pflegebauernhof Pusch habe ich eine Antwort darauf bekommen, wie ich im Alter leben möchte. Für jeden sieht diese Antwort anders aus und es gibt viele Wohnformen, die das Leben bis zum letzten Atemzug lebenswert machen.

Vielleicht kann sich der ein oder andere eine Umgebung mit vergoldeten Wasserhähnen, in dem einen jeder Wunsch von den Augen abgelesen wird, leisten. Ein anderer möchte sich überhaupt nicht mit dem Thema auseinandersetzen oder hat Ängste. Ob man sich dazu Gedanken macht oder nicht, der letzte Lebensabschnitt ist unausweichlich. Entweder ich entscheide rechtzeitig selbst oder andere entscheiden für mich, wenn ich nicht mehr dazu in der Lage bin. Da ich mein Leben eigenverantwortlich gestalte, hielt ich es überhaupt nicht für zu früh, mich im zarten Alter von 45, voll berufstätig, nix zwickt und zwackt, mit dem Thema zu befassen. An die Illusion, dass Geld (eine halbwegs vernünftige Altersvorsorge) alles schon irgendwie richtet, glaube ich nicht.

Dass das Thema Landwirtschaft eine große Bandbreite hat, von robotertauglich gezüchteten Kühen, die nie eine grüne Wiese sehen bis hin zu glücklichen Wollschweinen draußen im Matsch, hatten wir schon auf dem Bildungsurlaub in Ostfriesland kennen gelernt. Darum war ich auch sehr neugierig darauf, wie wohl eine ambulant betreute Senioren Wohngemeinschaft auf einem Bauernhof aussieht. TV-Berichte und Social Media boten einen ersten Eindruck, auf Grund dessen wir uns schließlich für einen Workshop auf dem Pionierbetrieb im Westerwald angemeldet haben, um uns vor Ort alles in Ruhe ansehen zu können.

Wir wurden gemeinsam mit 8 anderen Interessierten herzlich empfangen und saßen gemütlich in der Stube, wo wir jede Menge Infos zum Thema ambulant betreutes Wohnen, Landwirtschaft, Geschichte des Hofes, Kalkulation etc. erhalten haben. Fragen wurden kompetent und schlüssig beantwortet und auch unter den Gästen gab es regen Austausch. Mein Mann und ich wollten uns nur generell informieren, bei anderen ging es um konkrete Pläne, den eigenen Hof umzugestalten. Wir drücken ihnen von Herzen alle Daumen und hoffen, dass die Vorhaben gelingen! Vor allem Bürokratie und teils absurde behördliche Auflagen waren immer wieder Thema. Offenbar ist in vielen Amtsstuben noch nicht angekommen, dass es zwischen „Oma wird zu Hause gepflegt“ und „Altersheim“ noch eine ganze Bandbreite von Alternativen gibt, der man mit positiver Neugier statt Skepsis und Bedenken begegnen kann. Ermessen ausüben kann auch bedeuten, neue Dinge zu ermöglichen.

Nach einer leckeren Pizza ist der Gründer des Pflegebauernhofs, Guido Pusch, dazu gestoßen. Was soll ich sagen… es gibt Menschen, die brennen für das was sie tun aus tiefstem Herzen. Guido hat aus dem Nähkästchen geplaudert, seine Motivation, den Hof zu dem zu machen, was er jetzt ist, dargestellt und Pläne und Visionen für die Zukunft. Echtes Leben, Hochs und Tiefs, Rückschläge und Fortschritte, Zwischenmenschliches und ein Wille, besserere Orte auf dieser Welt zu schaffen. Für Senioren, Pflegekräfte, Landwirte und auch Bauernhoftiere. Lebensnah, optimistisch und voller Ideen, dabei bodenständig, authentisch und bereit, für die eigenen Ideale den Rücken gerade zu machen.

Der Hofrundgang (keine Gummistiefel nötig) durfte natürlich auch nicht fehlen. Der Pflegebauernhof ist ein aktiver landwirtschaftlicher Betrieb mit Nutztieren von der Wachtel bis zum Rind. Durch die Tiere entsteht ein natürlicher Rhythmus, der automatisch eine Tagesstruktur schafft. Die Alpakas und Gänse wollen auf die Wiese gebracht werden – jeden Tag, bei jedem Wetter, frische Hühnereier wollen aus den Legenestern eingesammelt, Tiere gefüttert und Ställe gemistet werden. Es gibt Tiergeburten und Hofschlachtungen. Wer will, kann mit anpacken. Im Rahmen eigener Möglichkeiten und stets freiwillig. Wir verlernen Dinge nicht, weil wir alt sind, sondern weil wir aufhören, sie zu tun! Auf dem Pflegebauernhof gibt es immer was zu tun, so bleiben wertvolle Fähigkeiten erhalten und es kann sogar noch Neues erlernt werden – auch im hohen Alter. Ob in der Küche, in den Ställen oder rund um den Hof – die Senioren können sich überall nützlich machen und die eigene Wirksamkeit erleben. Keine künstliche Bespassung, sondern Tätigkeiten mit Sinn und Nutzen. Honiggläser der hofeigenen Imkerei mit Etiketten bekleben? Gerne doch! Kerzen aus dem Bienenwachs herstellen? Warum nicht einmal ausprobieren! Holzöfen befeuern, in Küche und Stall helfen, Katzen streicheln: für jeden ist das Richtige dabei.

Unser Rundgang schloss auch Gemeinschaftsräume der Bewohner mit ein, hier wurde gerade für ein zünftiges Oktoberfest dekoriert und gemeinsam gebacken. Der Duft frisch gebackenen Kuchens zog durch das Haus, eine große rot-weiße Katze begleitete uns und beobachtete, ob wir alles richtigmachen. Dass hier ältere Menschen wohnen, sah man am Treppenlift und an dem ein oder anderen Rollator, der in der Ecke stand. Alles ist barrierearm und ohne „Mug-Ecken“, auch die Stallungen sind picobello und so gestaltet, dass auch weniger fitte Senioren den Tieren einen Besuch abstatten können. Nirgends roch es nach…. „Altersheim“ (vermutlich weiß jeder, welchen Geruch ich meine) … oder Desinfektionsmittel. 24 Stunden am Tag betreut der Pflegedienst Natürlich die Wohngemeinschaft.

Wir haben neugierige Senioren und entspannte Pflegekräfte (o'zogen mit Oktoberfest-Schürzen) kennen gelernt, zufriedene Tiere und einen Hofbetreiber, der nicht nur Pläne macht, sondern sie auch verwirklicht. Neben dem eigenen Pflegebauernhof betreibt er inzwischen einen Pflegedienst und bietet seine Expertise interessierten Landwirten und Quereinsteigern an: Strukturen auf dem Land erhalten, den Druck aus der Landwirtschaft nehmen und eine wirtschaftliche Perspektive für kleine Höfe bieten. Konsumdruck und Wachstumszwang etwas entgegensetzen. Eine bäuerliche Lebenswelt erhalten und gleichzeitig eine würdevolle Umgebung schaffen für pflegebedürftige Menschen, die in einer lebenswerten und täglich mitgestaltbaren Gemeinschaft bis zum Lebensende bleiben.  

Wie alle Menschen hat auch Guido Pusch wirtschaftliche Interessen, dies ist nicht verwerflich, niemand lebt von Luft und Liebe. Jedoch sind seine wirtschaftlichen Interessen wertegeleitet: Gemeinwohl, soziale Teilhabe, Solidarität. Und er ist einer, der nicht nur redet oder Dinge zerredet. Guido Pusch ist ein Macher.

Vielen Dank an das Team vom Pflegebauernhof Pusch für den wert- und wundervollen Tag! 

Pflegebauernhof Pusch in Marienrachdorf
Impressionen vom Pflegebauernhof Pusch.

Pflegebauernhof in Marienrachdorf
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