Bildungsurlaub auf dem Bauernhof in Ostfriesland

Wer hat als Kind Urlaub auf dem Bauernhof gemacht? Wir haben dieses Jahr an der Erwachsenen-Edition teilgenommen und viel gesehen und gelernt. „Landwirtschaft im Wandel“ so lautete das Programm des EvangelischenBildungszentrums Potshausen, für das wir uns entschieden hatten. Mein letzter Bildungsurlaub hatte mehr mit Tanz und Sport zu tun, war auch wunderschön aber in diesem besonderen Corona Jahr hatten wir uns für etwas entschieden, dessen Programm viel frische Landluft versprach. Und unsere Erwartungen wurden sogar übertroffen. An dieser Stelle will ich noch einmal anmerken, jeder Arbeitnehmer, der die Chance auf Bildungsurlaub hat, sollte sie nutzen. Eine Woche lang etwas für die persönliche Bildung tun und sich die ganze Zeit strukturiert mit einem Thema zu beschäftigen, bringt einen meilenweit weg vom Arbeitsalltag.

Nach ein paar Meilen Fahrtweg haben wir das schöne, idyllisch gelegene Bildungszentrum erreicht und unser Quartier in dem ehemaligen Pfarrhaus bezogen. Zuerst gabs Kaffee und Kuchen, dann ging es am ersten Tag schon los, zum konventionellen Bauernhof der Familie Garrelts in Filsum. Das erste Mal, dass ich auf einem modernen Milchviehbetrieb mit fast 400 Tieren war. Das moderne Bauernleben ist so anders als man es vom Kindheitsferienbauernhof kennt: vieles wird vom Lohnunternehmer erledigt und statt mit Melkmaschine von Kuh zu Kuh zu wandern, marschieren die Tiere zwei Mal am Tag gruppenweise in einen modernen Melkstand. Herr Garrelts hat geduldig alles gezeigt und erklärt, sich allen Fragen gestellt und auch erläutert, warum er sich für diese Form der Laufstallhaltung entschieden hat. Direkten Kontakt zu den Tieren gab es natürlich auch, wer wollte, durfte im Melkstand Kuheuter anfassen.

Für den ersten Tag sollten diese Eindrücke reichen, zurück gings ins Bildungszentrum zum Abendessen. Hier einmal angemerkt: die Verpflegung war spitzenmässig und reichlich. Im „Tour-Bulli“ hat unser Seminarleiter Herr Halfwassen auch stets Tee, Kaffee und Kuchen mitgeführt, für die outdoor Kaffeepausen auf den Höfen. Eine tolle Idee!

Dienstag ging es morgens los zum Sozialen Ökohof St. Josef in Papenburg, auch dort hatten wir eine Besichtigung aller Bereiche und haben eine Menge über die vielfältigen Projekte auf und rund um den Hof gelernt. Außerplanmäßig und  als zusätzliches Schmankerl haben wir unweit des Ökohofes eine Ausgrabungsstelle der Universität Osnabrück besucht und ein Professor hat uns aus dem Stehgreif den Hintergrund der Ausgrabungen erläutert: per Bodenradar wird auf dem Gebiet eines ehemaligen Straflagers aus der Nazizeit gesucht. Erste Ausgrabungsfunde gab es auch zu bestaunen. Interessant ist auch der Umgang der Eigentümer mit den Forschungen. Bauer A unterstützt die Archäologen und hat den Arbeiten auf seinem Grund zugestimmt. Bauer B jagt die Forscher bei Gesprächsversuchen vom Hof.

Die Mittagspause konnten wir zur freien Verfügung in Papenburg verbringen. Wir haben die Gelegenheit zum Kaffee trinken und zur Besichtigung einer alten Mühle genutzt.

Nachmittags stand der SoLawi Hof Emsauen in Rhede auf dem Stundenplan. Auch hier konnte der Theorie-Teil draußen auf dem Feld und vor den Kuh-Wiesen abgehalten werden. Familie Lampen erklärte uns das Prinzip der solidarischen Landwirtschaft und stellte uns ihren Hof samt der vierbeinigen Bewohner vor. Im Gegensatz zum konventionellen Bauernhof laufen ihre Kühe draußen rum und haben Hörner. Das Gemüsefeld wird mit Hilfe von Kaltblutpferd Paul bewirtschaftet und wöchentlich erhalten die 80 SoLawi Mitglieder eine Gemüsekiste mit saisonalen Produkten. Optional zubuchbar sind Eier, Milchprodukte und Fleisch.

Mittwoch war Gemüsetag, morgens auf dem Biolandhof ter Veen, mit einer exzellenten Führung von Herrn ter Veen, der sich selbst als Öko der ersten Stunde bezeichnet. 71 Jahre alt und vor Lebensfreude und Überzeugung für das was er tut sprühend. Große Themen waren hier die ökologische Entwicklung in der Landwirtschaft, die Herausforderungen und der strukturelle Wandel in der Landwirtschaft hin zur Agrarfabrik. Hier gab es Hühnermobile zu bestaunen und wer wollte, konnte sich knackige Möhren aus dem Acker ziehen und direkt essen.

Nachmittags haben wir auf dem Hof von Reinhard Lühring (Dreschflegel e.V.) enorm viel über Saatgut, alte Kulturpflanzen und deren Erhalt erfahren. Über Tomaten, die auch außerhalb des Gewächshauses wachsen und über Grünkohl, der 180 cm hoch wird. Die Saatgutherstellung und Veredelung ist filigrane Handarbeit, es müssen auch mal der Pflanze mittels einer Stimmgabel, die das Summen von Insekten simuliert, Pollen entlockt werden.

Nach zwei Tagen Bio, Öko und Bauernhöfen wie aus dem Bilderbuch war der Donnerstag morgen   Science Fiction . Wir besichtigten die Besamungs- und Embryotransferstation in Georgsheil des Vereins Ostfriesischer Stammviehzüchter. Dr. Detterer hat uns Laien anschaulich und verständlich präsentiert, was in dieser Station gemacht wird und wie. Eine faszinierende und ganz andere Welt. Wilkommen in der Matrix. Noch nie zuvor hatte ich Begriffe wie „gesextes Sperma“ und „Robotertauglichkeit“ in Verbindung mit Landwirtschaft gehört. Ersteres bezeichnet Sperma, dem das männliche Erbgut entzogen ist, da der Bauer weibliche Kälbchen haben möchte. Und Robotertauglichkeit ist ein Zuchtziel, damit die Milchkühe mittels Roboter gemolken werden können. Aus einem Bullenkatalog „Tinder für Rinder“ kann sich der Bauer ein männliches Prachtexemplar auswählen, der Besamungstechniker erledigt den Rest.

Aus der sterilen Welt der Station ging die Fahrt weiter zu den outdoor Schweinen von Erchingers Rosa Ranch. Bei richtigem Sauwetter besuchten wir seine 300 Duke of Berkshire Draußen-Schweine, die in Gruppen leben und auch lieben. Ein Eber hat es fröhlich demonstriert - nach TK-Sperma und Reagenzgläsern am Morgen ein sehr erfrischender Anblick. Die Tiere machten allesamt einen sehr glücklichen, aktiven und neugierigen Eindruck. Wir waren froh, dass wir ganz passiv später in der Scheune bei Tee und Kuchen alles rund um die Schweinemast erfahren durften. Auf den Punkt gebracht ist der Ringelschwanz das Kriterium. Glückliche Schweine haben Ringelschwänze. Und die von Bauer Erchinger sogar rassebedingt teilweise Fell.

Und Freitag war dieser grandiose Bildungsurlaub leider schon wieder vorbei. Morgens stand noch ein Film zur Geschichte der Mähdrescher auf dem Programm und das war auch das einzige Mal, dass wir wirklich drin waren. Ein ganz großes Lob an die Seminarorganisation. Herrn Halfwassen hat dafür gesorgt, dass der im Bildungsurlaub vorgeschriebene theoretische Teil so gut wie immer draußen statt finden konnte. Lüften und Abstände einhalten waren dort absolut kein Problem, wir waren ja an der frischen Luft und hatten viel Platz. Wir haben auf diesem Bildungsurlaub ausschließlich positive Menschen kennen gelernt, die alle unsere Fragen beantwortet haben, gerne in den Dialog gegangen sind und auch mit kritischen Anmerkungen sachlich umgegangen sind.

Abschließen möchte ich mit einem Zitat von Brenda Schoepp:

“My grandfather used to say that once in your life you need a doctor, a lawyer, a policeman and a preacher but every day, three times a day, you need a farmer.” 

Bildungsurlaub in Ostfriesland
Lernen und Erleben vor Ort.

Wandel in der Landwirtschaft, Bildungsurlaub
Glückliche Outdoor Schweine

 

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